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Beitrag vom 07.06.2006
Wenn die Flut kommt
Tatjana Zilg
Zwei ungewöhnliche Menschen finden für kurze Zeit zu einer intensiven Liebe. Von der belgischen Künstlerin Yolande Moreau, deren Theaterstück "Sale Affaire" eine zentrale Rolle in dem Film spielt
Nordfrankreich, Nahe der belgischen Grenze. Irène (Yolande Moreau) tourt mit der One-Woman-Show "Sale Affaire" durch provinzielle Kleinstädte: Ein Theaterstück über eine naiv-tolpatschige Mörderin, die in prägnanten Sätzen eine enorme Lebensweisheit ausdrückt. Die Schauspielerin geht Abend für Abend in der Commedia dell`arte inspirierten Vorstellung mit Hingabe und humorvoller Darbietung völlig auf. Das Publikum ist begeistert. Die Stimmung erreicht ihren Höhepunkt, wenn Irène sich einen Mann von den Zuschauerbänken auf die Bühne holt und als "Küken" - als neu gefundenen Liebhaber der Mörderin - ins Stück integriert.
Als sie eines Nachmittags eine Autopanne hat, begegnet sie Dries (Wim Willaert), einem Lebenskünstler, der sich mit Gelegenheitsjobs durch Leben bugsiert. Auch er hat einen Weg gefunden, seine Träume auszuleben. Er ist Mitglied in einer Männergruppe, die skurrile, überdimensionale Pappmaché-Figuren herstellt und auf Straßenumzügen einsetzt. Dries ist der Träger der Riesenfigur Totor.
Irène lädt Dries zu ihrer abendlichen Vorstellung ein und holt ihn als Küken zu sich auf die Bühne. Der sensible Mann in den Dreißigern ist fasziniert von der phantasievollen Frau. Er lässt sich nicht abschütteln und folgt ihr auf der Tournee. Die Schauspielerin bricht ihre selbst aufgestellten Regeln und holt ihn wieder und wieder auf die Bühne. Tut sie dies nicht, ist Dries eifersüchtig. Die Trennung zwischen Alltag und Theaterwelt beginnt sich für Irène aufzulösen. Schritt für Schritt lässt sie sich auf Dries ein, der sie in seiner spielerisch-jungenhaften Art in gefährlich-romantische Situationen entführt.
Aber da ist noch die Welt jenseits des Theaters: In ihrer Heimatstadt hat Irène Ehemann und Kind, die ihr Halt und Sicherheit bieten.
Yolande Moreau entwickelte das Drehbuch gemeinsam mit Gilles Porte, der sie in dem Stück "Sale Affaire" Anfang der 90er Jahre zum ersten Mal sah:
/"Ich erinnere mich an die Rauheit ihrer Stimme, an ihren Akzent, an ihr Verstummen, ihr Zögern, ihr Lachen, an ihren Blick mit zwei schwarzen Löchern anstelle der Augen, die raren Gesten, kurz, sich wiederholend, präzise wie dieses mechanische Abwischen der blutbeschmierten Hände an ihrem gestreiften Kleid. Ich erinnere mich an den Minimalismus von Yolande, an ihre Präzision, ihre Effizienz, an die unglaubliche Präsenz ihrer Figur. Danach war ich sehr beeindruckt von ihrer Darstellung in "C`est Magnifique" von Jérôme Deschamps. Und ich stellte mir ein Drehbuch mit Yolande in der Hauptrolle vor: eine Frau auf Tournee mit ihrem Stück, die auf einen jungen Mann trifft, der diese Riesenfiguren auf Umzügen herumträgt. Danach suchte ich Yolande auf dem Land auf, wo sie wohnte und es begannen 5 Jahre gemeinsames Drehbuchschreiben."
AVIVA-Tipp: Ein verführerisch-sensibler Film, der in graziöser, unaufdringlicher Bildsprache und humorvoll-sinnlicher Lyrik eine tragikomische Liebesgeschichte erzählt, die noch lange nach dem Kinobesuch tief im Inneren berührt. Über das Wechselspiel vom Sich-Verstecken und Sich-Zeigen, über Schönheit, die tief von innen leuchtet und über das innere Kind, das so gerne entdeckt werden will, aber auch ungezähmt und ruinös sein kann.
Wenn die Flut kommt
Originaltitel: Quand la mer monte
Frankreich/Belgien 2004, 90 Minuten
Regie: Yolande Moreau, Gilles Porte
Drehbuch: Yolande Moreau, Gilles Porte
SchauspielerInnen: Yolande Moreau (Irène), Wim Willaert (Dries), Olivier Gourmet, Jackie Berroyer, Béthune, Jacques Bonnaffé, Séverine Caneele, Bouli Lanners, Catherine Routier, Martine Delanoy, Thérèse Flouquet, Jan Hammenecker, Vincent Mahieu, Jean-Marie Hardeman, Nand Buyl
Verleih: Ventura Film
Kinostart: 08.06.2006